Dream big – die kleinste Kirche Frankfurts
Schwarze Seiten, schwarzes Spitzdach: von außen erinnert erst einmal nichts an eine Kirche. Doch schaut man genauer hin, findet sich sehr wohl ein christliches Symbol. „Die Einfassung der Fenster auf der hinteren Seite, dort, wo es zur Mini-Terrasse geht, bildet ein Kreuz“, erklärt Pfarrer Werner Portugall der Pfarrei St. Jakobus in Frankfurt. Das Subtile gefällt ihm an dem Entwurf der Architekten von KOOP aus Weimar. Und es passt zum Konzept. Denn wenn die „Tiny Church“ hoffentlich im Frühling 2023 fertig ist und an ihrem Platz im Lyoner Quartier in Niederrad steht, soll sie ein Ort für alle Menschen im Stadtteil sein, egal ob christlich getauft oder nicht, egal ob gläubig oder nicht.
Die „Tiny Church“ der Pfarrei St. Jakobus ist ein Herzensprojekt, an dem bereits seit vielen Jahren geplant wird. Und das die Beteiligten auch schon einiges an Nerven gekostet hat. „2009 und 2010 hatten wir hier eine Friedensdekade, in der es damals auch ums Lyoner Quartier ging“, berichtet Pfarrer Portugall. Die Ökumenische Friedensdekade findet jedes Jahr in den zehn Tagen vor dem Buß- und Bettag statt und soll das Engagement der Kirchenmitglieder für Friedensfragen stärken. Das kann, wie in Niederrad geschehen, oft sehr konkret werden, wie Werner Portugall erklärt: „Aus den leerstehenden Büroflächen in der Lyoner Straße sollte Wohnraum werden, drumherum urbanes Leben mit Geschäften und Restaurants. Und wir haben uns erstmals gefragt: Wenn dort ein neues Viertel entsteht, wie kann es gelingen, dem ein Herz zu geben?“
Eine klassische neue Kirche kam erstmal nicht in Frage, zudem sich in den Jahren danach herauskristallisierte, dass die Pfarrei in Frankfurt-Goldstein ein neues Gotteshaus bauen würde. Die damalige Pastoralreferentin in St. Jakobus, Simone Krämer, holte verschiedene Stakeholder an einen Tisch, um das Thema zu diskutieren, darunter auch die Evangelische Kirche in Frankfurt und Offenbach, sowie einen Investor. Gemeinsam schmiedeten sie große Pläne, träumten von einem Kulturzentrum mit Gastronomie, Einzelhandel, Wohnungen. Doch es scheiterte an der Umsetzbarkeit.
„Es braucht mehr als Lagerfeuer und Gitarre“
Aber gar nichts zu machen kam auch nicht in Frage. „Ich möchte auf keinen Fall einfach mit Gitarre und Feuerschale losziehen“, sagt Pfarrer Portugall. „Da könnte sich der eine oder andere schon fast veräppelt fühlen von uns. Nein, pastorale Arbeit muss heute attraktiv und ungewöhnlich sein, damit die Menschen auf sie aufmerksam werden.“ Mit Aktionen wie einer Sitzbank auf Rollen, mit der das Pastoralteam regelmäßig im öffentlichen Raum zum Sitzen und vielleicht auch Erzählen einlädt, macht die Pfarrei gute Erfahrungen, und auch der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zeigt: Projekte, die neugierig machen und einen Mehrwert bieten, haben Erfolg.
Schließlich wurde die Pfarrei auf den „Tiny House“-Trend aufmerksam und beschloss, gemeinsam mit den evangelischen Partnern, statt auf etwas Großes nun auf etwas Kleines zu setzen. Die 15 Quadratmeter kleine „Tiny Church“ soll mit einem Tisch und Stühlen, einer Holzpellet-Toilette und einer Kaffeemaschine wenig pompös eingerichtet werden. Sie wird auf einem Anhänger erbaut, so dass sie mobil ist und an verschiedene Orte gebracht werden kann.
Viel eher richtet sich der Blick auch ohnehin nach draußen, das wissen alle, die schon mal im Camper gereist sind: „Das eigentliche Leben soll vor der Tür stattfinden“, sagt Werner Portugall. Er sieht das Projekt als einen Begegnungsraum, der Vorschläge macht und sich verändert: „Ich denke da zum Beispiel an Straßentango, an Weinverkostungen, an eine Hüpfburg für Kinder, denn hier gibt es aktuell ja nicht mal einen Spielplatz“, zählt er auf. Und natürlich können rund um die „Tiny Church“ auch Gottesdienste gefeiert werden.
Eine andere Idee ist ein regelmäßiger „Brown Bag Lunch“, zu dem Menschen aus dem Viertel sich ihr eigenes Essen mitbringen und sich in der Mittagspause austauschen, vielleicht sogar mit einem kurzen kulturellen Impuls. „Der Trend geht dorthin, sich mehr ins Private zurückzuziehen und mit weniger zu leben“, sagt Portugall. „Seit der Pandemie sind auch viele bewusst ganz ins Homeoffice gegangen. Den Menschen eine Möglichkeit zu geben, ihre eigenen vier Wände für eine kurze Zeit zu verlassen und anderen zu begegnen, ist ein attraktiver Ansatz.“ Mit ähnlichen Angeboten hat zum Beispiel das Pastoralprojekt „Pax&People“ im Europaviertel gute Erfahrungen gemacht (siehe NETZ-Ausgabe 9): Dort ist die wöchentliche Morgenmeditation bei den Menschen deshalb sehr beliebt.
Genau wie im Europaviertel muss nun auch im Lyoner Quartier zunächst verstanden werden, wer dort eigentlich wohnt. Pendler, Paare und vielleicht, wenn nun Kindergärten und später auch eine Grundschule gebaut werden, auch Familien. Das Viertel ist noch im Entstehen, neben den bereits gebauten entstehen derzeit weitere 2600 Wohnungen unterschiedlicher Größen, darunter gut 10 Prozent sozial geförderte Wohneinheiten. Insgesamt rechnen die Planer mit 6000 Wohnungen für 12.000 Einwohner.
Am 1. September hat nun zunächst George Kurumthottikal die Arbeit aufgenommen. Der Soziologe soll – mit auf fünf Jahre ausgelegten 100 Prozent Stellenanteil – erforschen, was die Menschen im Quartier möchten und brauchen. Eine aktivierende Befragung gemeinsam mit der Caritas läuft bereits.
Pfarrer Portugall hofft, dass letzte Fragen mit dem Bauamt nun schnell geklärt werden, so dass die „Tiny Church“ nun endlich gebaut werden kann. Momentan hängt die Verzögerung vor allem daran, dass es noch Klärungsbedarf mit dem Bauamt zur Gebäudeklasse gibt. . Diese Verzögerung kostet Geld, denn die Preise sind durch die aktuelle politische Situation gestiegen und dürften längst nicht mehr bei den im Oktober 2020 veranschlagten 78.000 Euro liegen. Sie werden gemeinsam getragen von Pfarrei, Gesamtverband, Bistum, Bonifatiuswerk und Evangelischer Kirche in Frankfurt und Offenbach.
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe 10 des NETZ-Magazins erschienen. Alle Ausgaben sind kostenlos zu finden auf www.netz-das-magazin.bistumlimburg.de.